Ob Psychologe oder Marketer: Wir alle mussten in den letzten Jahren vom Standpunkt Abstand nehmen, dass Menschen rational denken und handeln.
Was uns diese Erkenntnis fürs Online Marketing bringt? Sehr viel! Je mehr wir über unsere verzerrte Wahrnehmung und unser irrationales Verhalten wissen, desto besser können wir unsere Marketing-Maßnahmen daran anpassen.
Denn nichts ist für Unternehmer frustrierender, als ihr Herzblut in großartige Produkte und Leistungen zu stecken, die beim Kunden aber leider keinen Eindruck hinterlassen.
Deshalb schauen wir uns in diesem Beitrag die Erkenntnisse der Psychologie wieder mal genauer an. Konkret nehmen wir die Availability Heuristic unter die Lupe und erklären, was sie ist, wo man sie findet und wie man damit im Online Marketing bessere Ergebnisse erzielen kann!
Was ist die Availability Heuristic?
Wie gesagt: Bei diesem psychologischen Phänomen geht es um die subjektive Wahrnehmung, der wir alle unterliegen. Auch wenn einige immer wieder behaupten, dass sie die Ausnahme dieser Regel sind.
Zur Definition: Bei der Availability Heuristic – auf Deutsch Verfügbarkeitsheuristik – handelt es sich um eine mentale Faustregel, die wir unbewusst bei Entscheidungen oder dem Fällen von Urteilen nutzen. Sie gehört zu einer Gruppe von Heuristiken, die wir deshalb auch „Urteilsheuristiken“ nennen. Darunter fallen beispielsweise auch die Ankerheuristik, die Repräsentativitätsheuristik und die Rekognitionsheuristik.
Die Availability Heuristic beschreibt speziell die Tatsache, dass Menschen von wenigen individuellen und einfach abrufbaren Erinnerungen auf eine größere Sachlage schließen. Selbst wenn die Fakten ganz offensichtlich dagegen sprechen!
Schwer vorstellbar? Kein Problem, es gibt für die Verfügbarkeitsheuristik viele Beispiele im Alltag:
Keine Angst vorm weißen Hai! Horror-Filme und vereinzelte (!) Medien-Berichte über Hai-Attacken haben einiges angerichtet. Wir schätzen das Risiko, von einem Haifisch angegriffen zu werden, sehr viel höher ein, als die Statistik eigentlich erlaubt! So sterben jährlich viel mehr Menschen an Kokosnüssen, die vom Baum fallen, oder Flugzeugteilen, die vom Himmel fallen.
Die Auswirkungen von Medienberichten sind ein sehr gutes Beispiel für unsere verzerrte Wahrnehmung. Aber wir finden die Availability Heuristic auch in anderen Bereichen unseres Lebens.
Wenn beispielsweise Ihr erstes Auto ein Gebrauchtwagen war, der schon nach wenigen Wochen völlig den Geist aufgab, haben Sie seitdem womöglich eher auf Neuwagen gesetzt. Zumindest aber überschätzen Sie mit großer Wahrscheinlichkeit das Risiko der Unverlässlichkeit von älteren Autos – im Gegensatz zu jemandem, der diese Erfahrung nicht gemacht hat. Ein einziges Auto, aber das Urteil ist gefällt!
2 Arten derselben Heuristik
In ihren Untersuchungen präsentierten die Psychologen Kahnemann und Tversky Probanden mit ausgedachten verheirateten Paaren. Die Probanden sollten entscheiden, ob es zu einer Scheidung kommen würde oder nicht. Es wurde beobachtet, dass Leute für diese Entscheidung auf eine von zwei Methoden zurückgreifen, die beide Teil der Availability Heuristic sind:
Abruf-Verfügbarkeit
Einige der Probanden verglichen das beschriebene Paar mit Bekannten von Ihnen, die eine gewisse Ähnlichkeit zum fiktiven Pärchen zeigten. Wenn die Bekannten eine Scheidung hinter sich hatten oder viel stritten, entschieden die Probanden, dass eine Scheidung wahrscheinlich ist.
Bei dieser Art der Availability heuristic geht es also darum, ob ähnliche Beispiele leicht abrufbar sind.
Scenario-Verfügbarkeit
Wenn den Probanden sehr schnell ein Szenario einfiel, in dem sich das Paar scheiden lässt (beispielsweise weil die Frau gerne provoziert und der Mann sensibel scheint), entschieden sie sich ebenfalls für die Scheidung als wahrscheinlichstes Resultat. Bei diesem Denkmuster geht es also darum, dass wir die Leichtigkeit, mit der wir uns ein Szenario vorstellen können, als Beweis dafür sehen, dass etwas wahrscheinlich oder wahr ist.
Unterm Strich sagen beide Arten der Availability heuristic aus: Wir können uns etwas ohne großen Aufwand vorstellen – dann muss es wohl richtig sein!
Die Availability Heuristic in der Evolution
Unser Oberstübchen hat natürlich einiges zu tun. Müsste es wirklich jede Situation im Detail analysieren, könnten wir auf keinen Fall so viel leisten oder entscheiden, wie wir es tagtäglich tun. Deshalb hat unser Gehirn im Laufe der Evolution viele Wege entdeckt, um „Shortcuts“ zu nehmen.
Und genau das ist auch die Availability Heuristic: ein psychologischer Shortcut, um Situationen möglichst schnell und mit wenig kognitivem Aufwand einschätzen zu können.
Während wir heute alltägliche und nebensächliche Urteile mit diesen Shortcuts fällen, konnte es früher überlebenswichtig sein, schnelle Entscheidungen zu treffen – und Statistiken konnten wir damals auch noch nicht googeln!
Ein Beispiel:
Stellen Sie sich vor, Sie leben in der Steinzeit und Ihnen läuft ein großes Tier über den Weg. Die Entscheidung steht an: Laufen Sie weg? Wenn Sie sich in diesem kritischen Moment daran erinnern, dass zwei Ihrer Artgenossen letzte Woche vor demselben Tier schreiend davon rannten (eine Erinnerung, die wahrscheinlich einen prägenden Eindruck hinterlassen hat und einfach abzurufen ist), dann werden Sie das Tier vermutlich als gefährlich einstufen und das Gleiche tun.
Obgleich die Möglichkeit besteht, dass eine andere Methode noch sicherer ist oder das Tier nicht gefährlich ist – bis Sie eine verlässlichere Pro-Contra Liste erstellt haben, sind Sie womöglich schon als Mittagessen verspeist worden.
Genug zum Hintergrund der Verfügbarkeitsheuristik: Wie sieht es mit ihrer Wirkung und ihrem Nutzen im Online Marketing aus?
Die Availability Heuristic im Marketing
Marketing und besonders Neuromarketing wird von einigen dafür verurteilt, mit der menschlichen Psyche zu spielen.
Aber wie wir anhand der vielen Beispiele für die Verfügbarkeitsheuristik gesehen haben: Objektiv bleiben geht nicht, selbst wenn wir es versuchen!
Was heißt das im Umkehrschluss für Ihr Unternehmen und Ihre Marketing-Maßnahmen?
Kunden werden im Internet mit Brands und ähnlichen Produkten überhäuft. Das Kundenhirn kann sich nicht objektiv entscheiden oder überhaupt alle Informationen verarbeiten. Es wählt einzelne Erinnerungen an Unternehmen und Lösungen. Diese dienen der Availability Heuristic zufolge als Grundlage unseres zukünftigen Urteilsvermögens bei bestimmten Situationen.
Ein Beispiel:
Heiko sucht nach einem Klempner für ein verrostetes Rohr unter seiner Spüle und stößt unter anderem auf Unternehmen X. Unternehmen X beschreibt nicht nur die tollen Eigenschaften seines Klempners. Es macht außerdem kurz und knackig auf die vielen weiteren Probleme aufmerksam, für die ein Klempner (und natürlich am besten der von Unternehmen X) angerufen werden sollte – beispielsweise bei einer bestimmten Verfärbung des Rohrs oder einem tropfenden Hahn.
Die Wirkung?
Erstens werden Heiko diese Anzeichen in Zukunft schneller und als reparaturbedürftig auffallen. Zweitens wird er sich für die Reparatur vermutlich an Unternehmen X wenden, da er die Erinnerung daran am schnellsten abrufen kann. Vielleicht gab es andere Unternehmen, die ihn ähnlich informiert haben, aber Unternehmen X hat die Botschaft am besten rübergebracht.
Wenn die Informationen zu Ihrem Unternehmen nicht einfach vermittelt oder einprägsam sind, haben Sie also keine Chance, im Kundenhirn Eindruck zu hinterlassen. Und dann staubt sich ein anderes Unternehmen den Kunden ab, oder der Kunde geht ganz ohne Lösung aus der Sache heraus.
In anderen Worten: Die Availability heuristic greift gar nicht, weil die Erinnerungen an Sie in passenden Situationen nicht präsent genug sind (Heiko wird auf seinen tropfenden Hahn gar nicht aufmerksam).
3 Tipps fürs Marketing
Welche Schlüsse können wir nun aus unserem Wissen über die Wirkungsweise der Availability Heuristic für unsere Maßnahmen im Online Marketing ziehen? Einige:
1. Das Problem beim Namen nennen
Eigentlich müsste es ja reichen, einfach nur ein Produkt zu beschreiben. Wenn es die Lösung auf ein Problem ist, das Kunden tatsächlich haben, merken sie das wohl selbst, oder?
Nicht unbedingt.
Denn: Manchmal nimmt man Probleme erst richtig wahr, wenn sie konkret angesprochen werden.
Komplette Manipulation? Das muss nicht sein! Wie das Beispiel zu Heiko’s Rohrbruch zeigt: Vielleicht ist das Problem sehr real, es wird einem nur nicht bewusst. Ich beispielsweise würde nie daran denken, irgendwas an meinem Auto zu kontrollieren und höre auch keine komischen Motorgeräusche – bis mich jemand darauf aufmerksam macht. Das heißt aber nicht, dass das Problem nicht schwerwiegend ist und behoben werden sollte (ja, ich war gerade in der Werkstatt).
Eine anderer wichtiger Punkt ist: Durch das Nennen des Problems und das Angebot einer Lösung in einem Atemzug (bzw. auf einer Webseite) erinnert sich der Kunde in entsprechenden Situationen an Sie und Ihr Unternehmen als Lösung. Wie Heiko!
Übrigens: Ein anderer Grund hat weniger mit der Availability heuristic zu tun als mit der persönlichen Ansprache Ihrer Kunden. Denn das Nennen von konkreten Problemen und Schmerzpunkten Ihrer Kunden überzeugt diese davon, dass Sie sie gut kennen. Bindung und Vertrauen entsteht!
2. KISS- einfach ist besser!
Nutzer wollen sich nicht an komplexe Gegebenheiten erinnern. Marketern wird bereits im früher Karriere-Alter eingetrichtert: Man muss hirngerecht mit den Kunden kommunizieren. Nicht umsonst wird im Marketing häufig der Ratschlag zum „KISS“ gegeben.
Dieses Mantra ist aus vielen Gründen wichtig. Aber auch, weil die Availability Heuristic besagt, dass wir „einfache“ Informationen leichter abrufen können.
Falls Sie ein Unternehmen haben, bieten Sie vermutlich eine tolle Lösung für ein Problem. Bestimmt ist es genauso gut (oder besser) als das von Konkurrenten. Wenn Ihre Wettbewerber die Lösung aber knapp und klar übermitteln können und Sie dafür 3 Landingpages brauchen, wird das Kundenhirn die Erinnerung an das Konkurrenz-Unternehmen leichter abrufen können. Prägnant prägt sich eben besser ein!
Und das bedeutet…? Richtig. Die Availability Heuristic greift. Wenn der Nutzer mit einem bestimmten Problem konfrontiert ist, wird er Ihren Konkurrenten in die Google Suche eingegeben, nicht Ihres!
Diese Herausforderung gilt besonders für IT-Dienstleister und Unternehmen, die ähnlich komplexe oder erklärungsbedürftige Lösungen bieten. Kurzum, die Szenario-Verfügbarkeit ist hier oft nicht gegeben!
Die Availability Heuristic sagt uns einmal mehr: Der Kunde kauft nicht immer die beste Lösung – aber die Lösung, die er am besten versteht.
3. Wiederholung macht den Meister
Egal ob anstehende Bewerbungsaufrufe oder (Verkaufs-)Aktionen – machen Sie Nutzer frühzeitig aufmerksam, und helfen Sie dem Gedächtnis immer wieder auf die Sprünge! Denn laut der Availability Heuristic sind solche Erinnerungen „leicht abrufbar“, die noch nicht lange zurückliegen. Dieser Punkt ist einfach nachzuvollziehen, oder?
Halten Sie sich also an das Motto: Zeigen, Überzeugen, Repeat. Hier lohnt es sich durchaus, zumindest kurzfristig auf bezahlte Ads (z.B. Banner) zurückzugreifen.
Übrigens: Wenn Sie sich gerade mit Recruiting beschäftigen, ist der Beitrag von Daniel Schoch zum Thema E-Recruiting sicherlich interessant für Sie!
Schluss für heute!
Ich hoffe, der Beitrag hat Ihnen das Prinzip der Availability heuristic nicht nur erklärt, sondern gezeigt, warum es im Online Marketing ein nützliches Neuromarketing-Tool ist.
Auch über Fragen oder Anregungen zu weiteren Themen freue ich mich übrigens! ?
Inspirationsquellen:
https://kenthendricks.com/availability-heuristic/
Wikipedia – Urteilsheuristiken
https://www.verywellmind.com/availability-heuristic-2794824