Die neoklassische Annahme des „Homo oeconomicus“ ist schon lange überholt. Auch wenn wir uns aus Gewohnheit manchmal gerne an die Idee vom rationalen Kunden klammern.
Verhaltensökonomen und Neuromarketer haben uns jedoch in den letzten Jahren deutlich gezeigt, wo der Hase wirklich langläuft – und dass Kaufentscheidungen alles andere als rational getroffen werden!
Das Gute: Ein riesiges Repertoire an psychologischen Effekten wurde bereits nachgewiesen und wir können uns davon die besten aussuchen, um unser (Online) Marketing auf das emotionale Kundenverhalten anzupassen Spitzen-Erfolge zu erreichen.
Das psychologische Phänomen, das wir uns heute anschauen, ist der IKEA Effekt.
In diesem Beitrag erfahren Sie, was es mit dem IKEA Effekt auf sich hat – Spoiler, hier werden keine Möbel verkauft! – und wie dieser für Produkte, Dienstleistungen und zur Conversion Rate Optimierung auf Webseiten angewendet werden kann.
Was ist der IKEA Effekt
Zur Definition:
Laut dem IKEA Effekt schätzen Menschen den Wert von Produkten, die sie selbst hergestellt oder mitgestaltet haben, viel höher ein als den Wert von fertigen Produkten.
Ok. So dargestellt überrascht der IKEA Effekt ja gar nicht sooo sehr. Zumindest, wenn man annimmt, dass sich dieses Phänomen auf wirklich kreative, individuelle Herstellungsprozesse bezieht.
Ein Beispiel: Wenn Sie einen Tisch in mühseliger Kleinstarbeit selbst herstellen und wochenlang am Hobeln, Schleifen und Hämmern sind (und was es sonst noch alles dafür braucht) – dann hat dieser Tisch natürlich einen ganz besonderen Platz in Ihrem Heimwerker-Herz verdient.
Ein Fertig-Tisch aus dem Möbelhaus hat sicherlich weniger sentimentalen Wert für Sie.
Was aber überrascht:
1: Beim IKEA Effekt geht es nicht nur um sentimentalen Wert. Die Liebe und Wertschätzung für Ihren Tisch drückt sich also nicht nur emotional aus – indem Sie alle Bekannten jahrelang mit der Geschichte nerven -, sondern auch in Ihrer Zahlungsbereitschaft! Denn die steigt drastisch bei selbst hergestellten Produkten.
Und das, obwohl Sie im Grunde nur für die Materialien zahlen würden und die Zeit und Energie der Zusammenstellung selbst investieren!
2: Die Individualisierung (à la „so einen Tisch hat sonst keiner!“) ist zwar ein netter Neben-Effekt und kann die Wertschätzung zusätzlich steigern, aber sie ist nicht nötig, um den IKEA Effekt zu triggern.
Diese Fakten wurden spätestens 2011 belegt – und zwar in den Studien, durch die der IKEA Effekt seinen Namen erhalten hat.
Übrigens: Die Möglichkeit einer Individualisierung ist trotzdem eine wichtige Überlegung im Rahmen des IKEA Effekts. Mehr dazu erkläre ich weiter unten.
Beweislage: Studien von Norton und Kollegen
Uns ist wohl allen klar: IKEA steht nicht gerade für hoch-individualisierte Produkte. Und doch hat die Arbeit beim Zusammenbau der eigenen Möbel einen gewissen Reiz. Und das schwedische Unternehmen freut sich über unglaubliche Verkaufsraten.
Was als Geschäftsmodell eben irgendwie gut zu funktionieren scheint, haben die amerikanischen Forscher Michael Norton, Dan Ariely und Daniel Mochon 2011 in ihrem Buch „IKEA Effect – When Labor Leads to Love“ als zum ersten Mal als zutiefst menschliche, psychologische Wahrnehmungsverzerrung belegt.
So führten die Forscher beispielsweise eine Studie durch, in der eine Probandengruppe Aufbewahrungsboxen von IKEA zusammenbauen musste. Danach sollten die Probanden bestimmen, wie viel das Produkt kostet.
Eine andere Gruppe bekam die Aufbewahrungsboxen bereits fertig zusammengestellt präsentiert und wurde ebenfalls nach einer Preiseinschätzung gefragt.
Das Ergebnis: Die Probanden, die die Box in Eigenarbeit zusammenstellten (und zwar völlig nach Anleitung und ohne jegliche Kreativität oder eigenen Stil) hätten 63% mehr für das Produkt gezahlt als die Vergleichsgruppe mit den nutzfertigen Boxen!
Übrigens: Obwohl der IKEA Effekt erst durch Norton und Kollegen 2011 geprägt wurde, wurde das psychologische Phänomen der gesteigerten Zahlungsbereitschaft durch die gesteigerte Eigenleistung schon früher beobachtet.
So konnte ein amerikanischer Hersteller von Backmischungen seinen Umsatz in den 50er Jahren um ein Vielfaches erhöhen, indem er das Rezept so veränderte, dass beim Backen noch ein Ei beigemischt werden muss. Die zusätzliche Mühe, das Ei hinzuzufügen, reichte völlig, um die Wertschätzung für das Produkt drastisch zu erhöhen!
Der IKEA Effekt im Dienstleistungssektor
Obwohl der IKEA Effekt klassischerweise an Produkten getestet wurde, können wir die Erkenntnisse mit ein bisschen Hirnschmalz auch auf Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor anwenden. Hier 2 Beispiele:
Urlaub mit Arbeit
Auf der richtigen Spur sind Reiseveranstalter, die Aktiv- oder vielmehr Mitmach-Urlaube anbieten. Beliebt sind beispielsweise Bauernhöfe, auf denen die Urlauber Kühe melken oder Ställe ausmisten müssen. Häufig werden diese Art von Reisen sogar zu einem höheren Preis als „traditionelle“ Entspannungsurlaube angeboten – mit Erfolg!
Coaching-Programme
Anstatt Projekte vollständig zu übernehmen oder Lösungen fertig abzuliefern, können Sie Workshops, Seminare oder Coachings anbieten, bei denen Sie gemeinsam mit Unternehmern oder deren Mitarbeitern an einer Lösung arbeiten. Abgesehen davon, dass das gemeinsam geschaffene Ergebnis den IKEA Effekt triggert, profitieren Sie und Ihre Kunden dabei auch auf andere Arten – Sie sparen sich simple Arbeiten, der Kunde kann zukünftige Projekte selbst durchführen usw.
Ob sich ein Coaching-Programm für Ihr Unternehmen anbietet, hängt natürlich von der Branche ab – besonders geeignet sind beispielsweise Webdesign Agenturen oder Eventlocations.
Aber werden Sie kreativ! Nur weil es sonst noch keiner in Ihrer Branche macht, heißt es nicht, dass es den Bedarf nicht gibt.
Was dahinter steckt: Kognitive Dissonanz
Da jede und jeder von uns irgendwann einmal davon betroffen ist, können wir die gesteigerte Wertschätzung unter dem IKEA Effekt vermutlich alle nachvollziehen. Trotzdem ist nach kurzer Überlegung klar: Rational geht anders.
Denn ich spare nicht nur Zeit und Energie, wenn ich mir ein Produkt bereits fertig geben lasse, sondern echte Profis können Boxen, Webdesigns und Co. wahrscheinlich besser bauen als ich. Und dennoch: der IKEA Effekt funktioniert auch, wenn meine IKEA Box wackelt!
Woran liegt es also, dass ich für das gleiche oder eventuell sogar minderwertigere Produkt mehr bezahle, nur weil ich es selbst erstellt habe?
Grund ist mitunter das psychologische Prinzip der kognitiven Dissonanz.
Die Theorie der kognitiven Dissonanz besagt, dass wir unsere Einstellungen und Überzeugungen unterbewusst anpassen, um kognitive Konflikte zu bewältigen. Im Rahmen des IKEA Effekts sähe der kognitive Konflikt wie folgt aus: „Warum muss ich denn selbst daran arbeiten, wenn ich das Produkt woanders fertig bekomme?“
Jetzt aber aufgepasst! Denn in diesen Fällen macht unser Gehirn, das stets nach positiven Emotionen strebt, etwas ziemlich Spannendes:
Es bewertet die Sachlage (in unserem Fall die erstellte IKEA-Box) besonders positiv, um die Anstrengung der Herstellung zu kompensieren und den kognitiven Konflikt zu beseitigen.
Dabei schlägt das Hirn gerne mal über die Stränge, sodass es am Ende sogar mehr Glückshormone ausschüttet als bei Produkten, für die wir gar keine Anstrengung unternehmen mussten.
Verrückt, aber: Voilà, der IKEA Effekt zeigt Wirkung!
KISS und Komplett-Pakete sind Quatsch?!
Klare Sache: Nein.
Kunden kaufen, was sie verstehen, sie mögen es unkompliziert und am besten gibt es eine Anlaufstelle für alle Probleme.
Einfach ist also immer noch gut!
Doch steht das nicht im Widerspruch mit dem IKEA Effekt? Offensichtlich wirkt der ja ziemlich gut, sonst wäre das Möbelhaus wahrscheinlich bereits auf ein anderes Geschäftsmodell umgestiegen.
Um es kurz zu machen: Es geht um das richtige Gleichgewicht!
Was Kunden hassen, ist übermäßige Mühe, Komplexität und Stress. Was sie jedoch lieben, ist Interaktion, das Gefühl, involviert zu sein und Produkte, über die sie sich nicht nur freuen, sondern auf die sie stolz sein können.
Was heißt das nun für die Umsetzung des IKEA Effekts?
Ganz einfach: Die erforderliche Eigenleistung muss einfach bleiben. Sie sollten ihre Kunden fordern, nicht überfordern.
Geht es Ihnen gerade wie mir? Ok, ich spreche es aus: Ich denke gerade an die 53 mal zurück, als ich schimpfend am IKEA-Möbel zusammenbauen saß und irgendetwas nicht funktionierte.
Aber alles ist relativ: Im Vergleich zu anderen Dingen ist das Zusammenbauen von Boxen nach Anleitung immer noch ziemlich einfach. Stellen Sie sich mal vor, Sie müssten irgendwelche IT-Produkte zusammenbasteln – und zwar ohne Instruktion!
Ich drücke es anders aus: die kognitive Dissonanz muss so gering sein, dass sie im Unterbewusstsein bleibt. Sobald Kunden den bewussten Gedanken fassen: „Das ist eigentlich anstrengender als nötig“, ist Hopfen und Malz verloren. Genießen Sie den IKEA Effekt also mit Vorsicht!
IKEA Effekt für Neukundengewinnung
Haben Sie schon den Haken entdeckt? Richtig: Der IKEA Effekt entfaltet seine Wirkung im Belohnungszentrum eigentlich erst, nachdem das entsprechende Produkt erworben und zusammengebastelt wurde.
Im Prinzip profitieren Sie vom IKEA Effekt also vor allem, wenn:
- Sie Produkte oder Lösungen anbieten, die mehrmals gekauft werden (wie die Backmischung mit Ei)
- Sie positive Bewertungen bekommen wollen oder
- Sie sich ganz generell eine geile Reputation aufbauen wollen, indem Kunden Ihre Produkte mit positiven Emotionen
Ist der IKEA Effekt also völlig nutzlos für die Neukundengewinnung? Nicht unbedingt – Sie müssen nur etwas tiefer in die Marketing Trickkiste greifen, um dem IKEA Effekt einen Boost zu geben:
Trick 1: Ihre Webseite als Spielwiese mit IKEA Effekt
Im Grunde genommen funktioniert der IKEA Effekt doch so: Je mehr Energie ich in eine Aufgabe stecke, desto besser gefällt mir das Ergebnis.
Wer sagt aber, dass Sie bis nach dem Kauf des Produkts auf den IKEA Effekt warten müssen?
Machen Sie einfach jeden Schritt der Customer Journey zu einem Prozess mit Ergebnis, für das der Kunde arbeiten muss! Anders gesagt: Lassen Sie den Kunden ein bisschen aktiv werden, statt ihm passiv alle Infos und Angebote vorzukauen.
Wie? Zum Beispiel durch interaktive Elemente, die er anklicken und entdecken kann. Ein noch stärkeres Gefühl der Errungenschaft kreieren Sie durch Filter oder Fragebögen, die Kunden ausfüllen muss, um überhaupt ein Angebot zu sehen.
Ein Beispiel:
„Welcher Urlaub zu Ihnen passt? Tragen Sie hier Ihre Interessen und Gewohnheiten ein und wir spucken Ihnen passende Angebote aus.“
Wenn der Kunde nach dieser aktiven – aber überhaupt nicht komplizierten! – Tätigkeit bei der Kontaktanfrage ankommt, wurde der IKEA Effekt vermutlich bereits ausgelöst.
Die positiven Emotionen erhöhen also bereits im Vorfeld die Wertschätzung für das zu Angebot und der Kaufklick wird mit größerer Wahrscheinlichkeit betätigt.
Achtung bei Quiz und Fragebogen: Es reizt natürlich, hier bereits Kontaktdaten abzufragen und einen Lead zu generieren. Aber wägen Sie vorsichtig ab, ob Ihre potenziellen Kunden schon an dieser Stelle bereit sind, persönliche Informationen preiszugeben.
Trick 2: Individualisierung
Ich habe weiter oben angedeutet, dass Individualisierung beim IKEA Effekt in indirekter Weise eine Rolle spielt: Und zwar genau hier, für die Neukundengewinnung. Lassen Sie den Kunden frei entscheiden, wie sein Tisch, sein Schuh oder sein Haus aussehen soll. Einen großen Einfluss hat hier die Reaktanz-Theorie: Diese besagt, dass Kunden nach Entscheidungsfreiheit streben. Sie schlagen also 2 Fliegen mit einer Klappe!
Schluss für heute!
Ich hoffe, der Beitrag hat Ihnen den IKEA Effekt erklärt als auch gezeigt, was die Stärken und Schwächen dieser kognitiven Verzerrung sind und wie Sie diese erfolgreich zu Ihrem Marketing-Vorteil nutzen können.
Jetzt würde ich gerne von Ihnen wissen: Hat Ihnen der Beitrag weitergeholfen? Verwenden Sie bereits Maßnahmen, um den IKEA Effekt auszulösen, oder haben Sie eine ganz andere Meinung dazu? Hinterlassen Sie einen Kommentar!
Auch über Fragen oder Anregungen zu weiteren Themen freue ich mich übrigens! ?
Inspirationsquellen:
https://www.ionos.de/digitalguide/online-marketing/verkaufen-im-internet/ikea-effekt-im-marketing/
https://www.targetter.de/ikea-effekt/
https://www.grin.com/document/963110