Wie im Beitrag Psychotricks der Werbepsychologie angekündigt, widme ich mich im Laufe der nächsten Wochen gemeinsam mit meinem Team der Thematik. Wir betrachten dabei Auswirkungen und Möglichkeiten, die die Neurowissenschaft in Bezug auf die Werbepsychologie mit sich bringt.
Haben Sie sich schon einmal dabei erwischt, wie Sie sich – gedankenverloren – plötzlich an eine Information erinnert haben? Sie wissen zwar nicht mehr genau, wo sie diese Information gesehen oder gehört haben, aber plötzlich ist Sie ganz prägnant und bringt Sie zum Nachdenken, scheint gar relevant und glaubwürdig, obwohl Sie dachten, dass die Information, oder die Quelle totaler Humbug war? Dann darf ich Ihnen gratulieren – denn Sie sind vom Sleeper-Effekt überrascht worden. Um was es sich bei dem Effekt genau handelt und wie Sie in Zukunft davon profitieren können, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Der Sleeper-Effekt – erste Gedanken
In den letzten Wochen und Monaten haben wir uns gemeinsam diversen Effekten gewidmet, deren Wirkung uns im (Online) Marketing zum Nutzen werden kann. Ich muss zugeben, ein paar der Effekte kamen mir bereits recht “gefährlich” vor, da sie nicht nur positiv, sondern eben auch negativ eingesetzt werden könnten. Damit meine ich, dass die Effekte nicht dafür genutzt werden, dass ein Unternehmen das wahre “Ich” zeigt, offen und transparent ist und Kunden begeistert, denen es einen Mehrwert bieten kann. Sie werden oftmals dafür genutzt, um Menschen zu manipulieren und ihnen etwas anzudrehen und aufzuhalsen, das sie gar nicht brauchen und nach kurzer Euphorie nicht mehr glücklich macht. Diese Art des Effekt-Nutzens ist mir ehrlich gesagt zuwider.
Auch der Sleeper Effekt wirkt auf mich – zumindest auf den ersten Blick – eher abschreckend. Es gibt derzeit nicht viele Informationen, die den Sleeper Effekt anhand “positivem” Marketing beleuchten. Betrachten wir eine mögliche Definition:
Der Sleeper Effekt – eine Definition
Beim Sleeper-Effekt geht es in erster Linie um Informationen, die in das Gehirn des Rezipienten gepflanzt werden. Dabei handelt es sich um eine Information, die meist an sich unglaubwürdig sein kann, oder aus einer unglaubwürdigen Quelle stammen könnte. Meiner Recherche zufolge können aber auch “wahre” Nachrichten von glaubwürdigen Quellen vom Sleeper Effekt profitieren, dazu gibt es jedoch kaum Beispiele. Wir eine Information “gepflanzt” so scheint diese im ersten Moment für den Rezipienten unglaubwürdig, oder lachhaft, wird von ihm oder ihr verdrängt und kommt nach mehreren Wochen – ohne Zusammenhang mit einer Quelle – wieder in den Vordergrund. Man könnte sagen, dass die Information still und heimlich wurzelte und nun aufblüht.
Um dem Sleeper-Effekt und dessen Wirkung auf den Zahn zu fühlen, müssen wir in der Geschichte ein paar Schritte zurück gehen.
Erste Entdeckung des Sleeper-Effekts
Zum ersten Mal wurde der Sleeper-Effekt im Jahre 1949 von den Psychologen und Politikwissenschaftlern Hovland, Lumsdaine und Sheffield beobachtet. Sie beschreiben den Effekt als ein Kommunikationsphänomen, nach dem ursprünglich für unglaubwürdig befundene Informationen nach Ablauf einer bestimmten Zeit ihre Wirkung zeigten: die Einstellung des Rezipienten wurde trotz anfänglicher Zweifel in die intendierte Richtung beeinflusst.
Was bedeutet das?
Das würde konkret bedeuten, dass beispielsweise nach dem Empfangen einer unglaubwürdigen Information, durch einen Artikel, Werbung, etc. diese Information in erster Linie keinen Einfluss auf die Einstellung der oder des Rezipient*in hat. Wegen der mangelnden Glaubwürdigkeit wird die Information also abgelehnt. Kommt es nun dazu, dass der Sleeper-Effekt auftritt, so würde sich die Einstellung der oder des Rezipient*in so verändern, dass der Information nun doch zugestimmt wird. Also auch Informationen, die zunächst als unsinnig abgestempelt wurden, können einen Einfluss auf unsere Einstellung haben und dazu führen, dass wir der Information gegenüber nicht mehr abgeneigt sind.
Knackpunkt des Sleeper-Effekts
Um zu ermitteln, wie genau der Sleeper-Effekt – vor allem im Marketing – genutzt werden kann, müssen die Mechanismen bekannt sein, durch die der Effekt tatsächlich ausgelöst wird, oder eben nicht. Diese Fragestellung ist jedoch der zentrale Knackpunkt bisheriger Forschungen zum Sleeper-Effekt. Es gibt zwar eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle, die den Effekt erklären wollen, allerdings betrachten diese meist nur einen Teilausschnitt des Sleeper-Effekts.
Der Sleeper-Effekt wird seit seiner Entdeckung in den 1940er Jahren durch eine vielfältige Forschungsgeschichte gezeichnet. Forscher*innen veränderten häufig die Definition des Effekts, um dadurch die Ergebnisse ihrer Studien als Sleeper-Effekt bezeichnen zu können, oder um den Effekt durch herangezogene Theorien und Modelle erklären zu können. Diese “lebenserhaltenden” Maßnahmen steht neben einer starken Anzweiflung des Effekts.
Während meiner Recherche bin ich auf verschiedenste Definitionen des Sleeper-Effekts gestoßen. Die oben beschriebene machte für mich am meisten Sinn und wurde von den meisten Quellen so oder so ähnlich aufgeführt. Sie sehen: den Sleeper-Effekt zu greifen, oder greifbar zu machen, ist fast genauso schwierig, wie das Beispiel unter „Der moderne Sleeper-Effekt“ ernst nehmen zu können.
Propaganda Propaganda
Um erneut auf die Entdeckung des Sleeper-Effekts zu sprechen zu kommen, reisen wir noch einmal in das Jahr 1949. Hier wurde der Effekt des Sleepers – also des Schlafenden – zum ersten Mal in der Propagandaforschung der oben aufgeführten Yale-Wissenschaftler Hovland, Lumsdaine und Sheffield beobachtet und beschrieben. Interessanterweise wurde der Effekt anhand eines Propaganda-Films – also Werbung – beleuchtet. Es sollte festgestellt werden, ob sich die Einstellung amerikanischer Soldaten gegenüber der Luftschlacht um England veränderte, bzw. beeinflussen ließ, wenn diese den Propagandafilm “The War of Britain” schauten.
In der ersten Woche des Experiments bekamen die Soldaten hierfür einen Fragebogen ausgehändigt, der ihre Einstellung gegenüber der Luftschlacht um England erfassen sollte. Einem Teil der Gruppe wurde eine Woche nach Ausfüllen des Fragebogens ein als neutrale Dokumentation getarnter Propagandafilm gezeigt. Dem Rest der Gruppe wurde der Film nicht gezeigt. Schon fünf Tage später wurde ein Teil der Gruppe erneut zu Ihrer Einstellung gegenüber der Luftschlacht um England befragt. Für den zweiten Teil folgte die erneute Befragung acht Wochen nach der ersten.
Was denken Sie? Welche Ergebnisse wurden gemessen?
Wie Sie vermutlich geahnt haben konnten die Forscher bei der Analyse der Daten feststellen, dass sich die Einstellungen der Soldaten in der Experimentalbedingung nach mehreren Wochen stärker an die Argumentationslinie des Films angenähert hatten, als zum ersten Messzeitpunkt. Dieses “Einstellungs-Phänomen” bezeichneten die Forscher als „sleeper effect“, da er erst später seine Wirkung entfaltete. In der Kontrollgruppe, die den Propagandafilm nicht zu sehen bekommen hatte, konnte keine Einstellungsänderung zu Gunsten der in dem Film vertretenen Positionen nachgewiesen werden.
Was ich persönlich sehr interessant finde ist, dass die Probanden laut einer Umfrage den Inhalten der Botschaft des Filmes zunächst kritisch gegenüber stehen. Da in ihren Augen die Quelle nicht vertrauenswürdig ist, scheint den Probanden auch der Inhalt nicht verlässlich. Im Laufe der Zeit löst sich scheinbar mental die Information jedoch von der Quelle, bis die Quelle komplett in den Hintergrund rückt. Dieses “Verschwinden” bzw, “Abkoppeln” der Quelle hat zur Folge, dass die den Probanden die Informationen plötzlich doch als möglich und relevant ansehen, da neben der Quelle nun auch Gegenargumente in den Hintergrund rücken. Was im Jahre 1949 festgestellt wurde, nämlich, dass es einen Sleeper-Effekt zu geben scheint, kann auch heute noch beobachtet werden.
Der moderne Sleeper-Effekt
Die Erde ist keine Kugel, sondern eine Scheibe. Das behauptete ein junger Mann 2016 in der TV- und Radiosendung von Jürgen Domian. Sein Ziel mit dieser zweifelhaften Aussage: die “größte Lüge […] der Menschheit” aufdecken. Als Begründung führte er Verweise auf die Bibel an. Warum die Lüge einer kugelförmigen Erde kursierte und wer diese Lüge in die Welt trug, konnte der junge Mann nicht begründen.
Jürgen Domian schenkte der Aussage – wie vermutlich ein Großteil der Zuschauer*innen und Zuhörer*innen – keinen Glauben und zweifelte stattdessen am Verstand des jungen Mannes. Doch was geschah dann? Der junge Mann bekam plötzlich eine unwahrscheinlich hohe Medienpräsenz. Die Medien griffen das Thema wieder und wieder auf, luden den jungen Mann ein und so bekam der 30-jährige arbeitslose Koch im November 2016 sogar einen Auftritt im Frühstücksfernsehen. Dort konnte er weitere krude Theorien zu seiner Vermutung und ähnlichen Themen von sich geben.
Diese Situation ist ein wahnsinnig gutes Beispiel wie schnell sich in der heutigen Zeit sogar die abwegigsten Themen gehör finden und verbreitet werden. Denken wir allein an die letzten Jahre – #fakenews. So unglaubwürdig die Informationen erscheinen, so beeinflussen sie dennoch die Rezipient*innen. Grund dafür – der Sleeper-Effekt!
Der Effekt im Online Marketing
Ich möchte an dieser Stelle ungerne die damalige Propaganda mit der heutigen Werbung oder anderen (Online) Marketing Maßnahmen gegenüberstellen. Trotz allem kann auch das Online Marketing von den damaligen Studien lernen. Mir ist an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass der Sleeper-Effekt in meinen Augen auch heute nicht ganz nachvollzogen werden kann, nicht ganz sicher ist, wann und wo seine Wirkung auftritt und einen Effekt erzielt und wie man ihn daher ideal für Marketingzwecke nutzen kann. Falls Sie also den Sleeper-Effekt testen möchten, kann ich Ihnen keine messbaren Ergebnisse versprechen. Um den Effekt trotz allem für das Marketing nutzbar zu machen, kann ich mir vorstellen, dass die Art und Weise Ihrer Kommunikation dementsprechend ausgerichtet werden kann.
Die Frage: “Wie soll Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung langfristig wirken?” steht hierbei im Vordergrund. Beim Sleeper-Effekt geht es prinzipiell darum, dass die Quelle der Botschaft vergessen wird und möglichen Kund*innen dadurch die Aussage glaubwürdig(er) erscheint. Das Waschmittel, das weißer wäscht als alle anderen, die super billigen Angebote des Elektromarkts – generell scheint Werbung fast immer unglaubwürdig. Generell speichert das menschliche Gehirn Informationen länger, als deren Quellen. Das bedeutet auch, dass je mehr Zeit vergeht, die Quelle umso unwichtiger ist und wir eine Aussage für plausibel oder gar wahr empfinden. Dieses Prinzip gilt vor allem dann, wenn die Aussage in der Vergangenheit möglichst oft wiederholt wurde.
Klartext
Nun, ich möchte Ihnen ganz ehrlich meine Meinung mitteilen. Für mich bedeutet gutes Online Marketing, dass die Botschaft eines Unternehmens – sei es zur eigenen Identität, zu den Produkten, oder zur Dienstleistung – von Anfang an nicht nur glaubwürdig wirkt, sondern es auch ist. Ich rate in der Regel sowieso davon ab, durchgekaute Floskeln wie “Unser Waschmittel macht Ihre Wäsche weißer als weiß” oder “Wir garantieren besten Service und kompetente Leistung” wenn überhaupt, nur mäßig zu Verkaufszwecken zu nutzen. Für mich ist zudem fraglich, wie viel Sinn es macht, auf den Sleeper-Effekt zu setzen, wenn dessen Ziel ist, etwas zu vertuschen – nämlich die Quelle – damit die Information glaubwürdiger scheint. Ehrlich gesagt sind mir Unternehmen, die viel versprechen, nichts davon halten und zudem keinen Mehrwert bieten, zuwider. Harte Kritik, das ist mir bewusst – aber es ist meine Meinung.
Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann ist es dieser: Kommunizieren Sie ehrlich, was Ihr Produkt, Ihre Dienstleistung, Ihr Unternehmen ausmacht und welchen Mehrwert den Kund*innen geboten wird. Fokussieren Sie sich darauf, wie Ihre Botschaft bei Ihrer Zielgruppe ankommen und in Erinnerung bleiben soll. Seien Sie ehrlich und versuchen Sie nicht über Täuschungen einen Gewinn zu erzielen – das funktioniert vielleicht auf kurze Sicht, aber Lügen haben kurze Beine. Und nur weil eine Lüge oft genug wiederholt wird, wird diese nicht zur Wahrheit – auch nicht durch den Sleeper-Effekt.
Werden Sie das Wissen um den Sleeper-Effekt Nutzen?
Wir ermutigen Sie, das Wissen um den Sleeper-Effekt einzusetzen und durch unsere Tipps möglicherweise neue Wunschkunden zu gewinnen. Dennoch ist uns wichtig an dieser Stelle zu betonen, dass nur jene genutzten Effekte Ziele erreichen, die für Ihr Unternehmen sinnvoll sind. Gerne begleiten wir Sie auf der Reise! Haben Sie Fragen zum Sleeper-Effekt, zu einem anderen Thema, oder zu unseren Angeboten? Dann freuen wir uns über Ihre Nachricht.
Bis zum nächsten Beitrag!
Ihre Wanda Hirsch
Inspirationsquellen:
- Ann-Kathrin Lindemann – Der Sleeper Effekt – Theoriekritik und der Versuch eines Nachweises
- Digital Lifestyle (Autor*in unbekannt) – Der Sleeper-Effekt – vergessene Manipulation
- Gedankenwelt (Autor*in unbekannt) – Der Sleeper-Effekt: Der Einfluss der Zeit