Wie im Beitrag Psychotricks der Werbepsychologie angekündigt, widme ich mich im Laufe der nächsten Wochen gemeinsam mit meinem Team der Thematik. Wir betrachten dabei Auswirkungen und Möglichkeiten, die die Neurowissenschaft in Bezug auf die Werbepsychologie mit sich bringt.

Was hat Online Marketing mit Goethe zu tun? Wir nehmen den Werther-Effekt unter die Lupe und finden heraus, was es mit ihm auf sich hat! So können auch Sie schon bald von Goethes Jungem Werther lernen. Keine Sorge: Eingestaubte Lektüren werden heute nicht gebraucht ?.

Der Werther-Effekt im Marketing

Wer hat sich nicht mit ihnen herumgeschlagen: Mit den Leiden des jungen Werthers. Spätestens im Abitur treffen sie uns alle und wehren kann man sich nicht – oder man kassiert eine 6. Da werden die Leiden des jungen Werthers zu den Leiden vieler Abiturienten und Deutsch-Studierenden – so das Empfinden.

Ich muss gestehen, Goethe hat mich fasziniert und er tut es noch immer. Seine Art zu schreiben, Gefühle zu äußern und diese in die Welt zu posaunen – das braucht Mut. Obwohl Goethe zu Beginn gar nicht so mutig war. Die Leiden des jungen Werthers – eine Geschichte über die Liebe, Verlust, Depression und schlussendlich Suizid – wurde anonym publiziert. Was folgte war eine Welle von Werther-Nachahmern. Der junge Werther wurde zum Vorbild vieler junger Männer, die sich verstanden, gesehen und gehört fühlten. Doch die Veröffentlichung des Werks weckte Empörung und Unverständnis in den Reihen der älteren Herrschaften. Sie störten sich am von Gefühlen getriebenen, gar melancholischen Verhalten der jungen Männer. Und sie waren schockiert über die negativen Ereignisse, deren Ausmaß niemand vorhersehen konnte. Eine Welle von Selbstmorden soll das Land überrollt haben, woraufhin die Lektüre und alles was mit ihr in Verbindung gebracht werden konnte, verboten wurde.

Dem Werther-Effekt auf der Spur

Diese Welle nennt sich Werther-Effekt. Dieser Effekt kann auch Nachahmungs-Effekt genannt werden und beschreibt das Schwarmverhalten von Menschen und Tieren. Zugegeben, diesen Effekt für unternehmerische Marketingzwecke zu nutzen, scheint makaber. Trotz allem können wir viel über das menschliche Verhalten vom Werther-Effekt lernen.

Wir Menschen nehmen Informationen über unsere Sinne auf. Diese Informationen werden von unserem Gehirn verarbeitet und zu einem Weltbild geformt. Wie wir Dinge wahrnehmen und empfinden, was wir fühlen und denken, prägen unsere Sicht auf die Welt. Für jedes Individuum stellt dabei die eigene Weltanschauung das Richtige und Wichtige dar und so entstehen Taten. Das was das Weltbild bestimmt, bestimmt schlussendlich wie wir handeln. Dabei sind die Quellen der Informationen die unser Gehirn aufnimmt andere Menschen oder Lebewesen. Wir nehmen Informationen auf und ahmen sie nach. So lernen wir Laufen und Sprechen, entwickeln uns weiter und entdecken das Leben.

 

Grafik zum Werther Effekt

 

Der Werther-Effekt in der heutigen Zeit

Denken wir darüber nach, wie viele Sinneseindrücke – vor allem durch Medien – heute auf uns niederprasseln, kann dies überwältigend und erdrückend sein. Wir hören, lesen, sehen Nachrichten, haben Konversationen, bekommen Informationen und all diese Eindrücke machen etwas mit uns und unserem Gehirn, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Je häufiger uns Berichterstattungen ereilen über ein bestimmtes Thema, desto tiefer gräbt sich diese Information in unsere Nervenbahnen. Das funktioniert, da unsere Gehirnstrukturen veränderbar sind. So können wir Spuren und Pfade hinterlassen in unserem Gehirn, wenn diese immer wieder „gegangen“ werden. Informationen, die uns über verschiedene Medien immer und immer wieder erreichen, hinterlassen Spuren in unserem Gehirn. Sie formen uns – wortwörtlich.

Der damalige Trubel über Goethes jungen Werther grub eine Spur in die Köpfe der Menschen und brachte sie dazu, ihrem Idol nachzueifern, zum Teil bis in den Tod. Auch heute spielt dieses Phänomen eine große Rolle, nicht nur in Verbindung mit den suizidalen Schlagzeilen prominenter Personen, die wie eine Welle steigender Suizidraten auf die Gesellschaft niederbricht. Je höher die Reichweite eines Unternehmens, eines Nachrichtenservices, oder einer einzelnen Person -beispielsweise eines Influencers, desto eher kann es zu einem Werther-Effekt kommen. Vor allem in Zeiten von Social Media ist es nicht mehr abwegig, dass eine einzige Person einen solchen Effekt auslösen und eventuell sogar für sich nutzen kann.

Social-Media und der Werther-Effekt

Ich folge seit einem Jahr etwa einer jungen Frau auf der Social Media Plattform „Instagram“. Auf ihrem Kanal teilte sie bis vor kurzem Tipps & Tricks zum Thema Zimmerpflanzen und deren Pflege. Da ich mich selbst an Zimmerpflanzen erfreue, aber leider keinen grünen Daumen habe, war ihr Content die Rettung meiner kleinen grünen Freunde. Das ging nicht nur mir so. Bis zum heutigen Tag folgen dieser jungen Dame – nennen wir sie Julia – über 138.000 Menschen auf ihrem Kanal. Das ist ziemlich genau die Einwohnerzahl von Ingolstadt. Und die Auswirkungen sind enorm. Beispielsweise teilte Julia ihre Liebe zu Lemon Curd ihrer Community mit, worauf hin nur einige Stunden später(!) in vielen deutschen Städten der Brotaufstrich komplett ausverkauft war. Zufall? Möglich. Werther-Effekt? Auch möglich. Während der dramatischen Brände in Australien und vor allem zu Beginn der Corona-Zeit nutzte Julia ihre Reichweite, um damit die Welt ein bisschen besser zu machen. So sammelte sie mit Hilfe ihrer Follower mehr als 55.000€ für die Unterstützung von Tierschutzorganisationen in Australien und entwickelte ein Brieffreundschaft-Netzwerk zwischen ihren Followern und Senioren im Altenheim, die während der Corona-Zeit keinen Besuch empfangen konnten. Sie nutzte den Werther-Effekt, um positive Veränderung zu schaffen.

Warum kann eine junge Frau aus Jena innerhalb kürzester Zeit so viele Menschen prägen und sie dazu bringen, Geld zu spenden, Briefe zu schreiben, oder einen Brotaufstrich zu kaufen? So wie der junge Werther ist Julia zu einem Vorbild geworden. Sie hat Menschen erreicht, weil sie auf eine sympathische Art und Weise ihr Leben zu teilen weiß. Es entsteht eine Community, eine Gemeinschaft, die ihren Mitgliedern ein Gefühl von Zusammenhörigkeit und Verstanden-Sein bringt. Julia lebt vor, teilt Erfolge und Rückschläge und die Menschen sehen ihr dabei zu, erkennen sich in ihr wieder, ahmen ihr nach. Julia hinterlässt in den Köpfen ihrer Follower Spuren, die tagtäglich vertieft werden. Hier lebt der Werther-Effekt in modernen Zeiten und in modernen Medien.

So nutzen Sie den Werther-Effekt

Auch bei diesem Effekt ist unser Ziel als werteorientierte Online Marketing Agentur nicht, Kunden anzusprechen, die mit einer Leistung nichts anfangen können. Wir wollen niemandem etwas andrehen. Daher ist uns besonders wichtig zu hinterfragen, ob und wie dieser Effekt von Unternehmen angewendet werden kann, um die richtigen Kunden von einem Produkt zu überzeugen, dass sie auch wirklich benötigen.

Wie kann der Werther-Effekt nun von Unternehmen integriert und umgesetzt werden, um potenziellen Wunschkunden ein Produkt oder eine Dienstleistung emotional nahe zu bringen? Die folgenden Tipps können wir wärmstens empfehlen:

 

Grafik zur Darstellung des Werther-Effekts

 

Tipp 1 – Erwecken Sie Ihren jungen Werther zum Leben

Sie müssen heute nicht nur dafür sorgen, dass Ihr Unternehmen sich einen Namen aufbaut! Es ist zudem sinnvoll und wichtig dem Unternehmen oder der Marke ein Gesicht zu geben. Mit diesem „Gesicht“ oder dieser Person können sich schlussendlich Ihre Kunden identifizieren. Ihr Unternehmen stellt Produkte oder Dienstleistungen zur Verfügung, die den Kunden weiterhelfen, ihnen einen Mehrwert bieten sollen. Es ist nicht nur für Sie ärgerlich, wenn die Kunden sich nicht mit Ihnen, oder Ihrem Angebot identifizieren können. Welchen Schmerzpunkt lösen Sie? Entwickeln sie dementsprechend einen Werther, also eine Person, oder eine Personengruppe, die für Ihr Angebot steht, oder die Zielgruppe darstellt.

Tipp 2 – Geben Sie Ihrem jungen Werther ein Gesicht

Als Unternehmer ist Ihnen gewiss personal Branding kein Fremdwort. Das sollte es auch nicht sein, wenn es darum geht, einen jungen Werther nicht nur zu kreieren, sondern ihn mit Fleisch und Blut in das Branding Ihres Unternehmens einwachsen zu lassen. Werte, Ziele und Identität können Ihren jungen Werther zu einem Vorbild für Ihre Kunden machen.

Natürlich ist es auch möglich, sich einen bereits bekannten Menschen ins Boot zu holen und ihn oder sie zu einem jungen Werther zu machen. Die Arbeit mit Influencern, Stars und Sternchen kann zu einer wertvollen Strategie für Ihr Unternehmen werden und Sie können von der bereits bestehenden Reichweite Ihrer Kooperationspartner und Partnerinnen profitieren. Win win! Trotz allem wollen wir Ihnen an dieser Stelle ans Herz legen, dass eine solche Partnerschaft weise gewählt werden will. Der Partner oder die Partnerin MÜSSEN die Werte und das Branding Ihres Unternehmens verstehen und vertreten können. Ansonsten wird es Ihrem jungen Werther an Authentizität mangeln und das kommt bei den Kunden gar nicht gut. Zudem ist es ratsam sich mit Ihrer Zielgruppe, vor allem im Hinblick auf einen möglichen jungen Werther, auseinanderzusetzten und herauszufinden, welche Art junger Werther zu den Kunden passt.

Ein interessantes Beispiel für ein Unternehmen, das sich einen Werther erschaffen hat, ist beispielsweise die Supermarktkette Edeka. Das Unternehmen hat mit ihrem „supergeilen Mann“, alias Friedrich Liechtenstein, einen jungen Werther entwickelt, der mit Humor und teils recht provokanten Supermarkt-Szenen neuen Schwung in das Einkaufsleben bringen soll. Gelungen? Entscheiden Sie selbst (und lassen Sie es uns gerne in den Kommentaren wissen!).

Tipp 3 – Die Geschichte Ihres jungen Werthers

Sie haben mit Ihrem Unternehmen einen jungen Werther geboren und ihm ein Gesicht gegeben? Sehr gut! Jetzt geht es darum, die Geschichte Ihres jungen Werthers zu entwickeln. Je persönlicher und nahbarer diese Geschichte ist, desto greifbarer und attraktiver wird Ihr Unternehmen für Ihre Kunden sein. Einerseits können sie an dieser Stelle die Geschichte Ihres Unternehmens mit einbinden, andererseits können bereits bestehende Geschichten, wie beispielsweise die eines Kooperationspartners, oder einer Kooperationspartnerin aufgegriffen und als Werbemittel genutzt werden. Seien sie kreativ! Machen Sie sich Gedanken über mögliche Geschichten. Hier können Sie auch mit Geschichten über das Scheitern und wieder Aufstehen arbeiten. Speziell zu diesem Thema haben wir einen Beitrag über den Pratfall-Effekt verfasst. Egal, ob Sie sich für eine Erfolgsgeschichte oder eine Geschichte übers Scheitern entscheiden – wichtig ist, diese angebracht zu erzählen. Wir arbeiten beispielsweise sehr gerne mit der Blockbuster-Storytelling-Methode. Sie arbeitet mit dem Prinzip der „Hero’s Jurney“, also der Heldenreise, bei der ein Held oder eine Heldin, einen (beschwerlichen) Weg gehen muss, um schlussendlich an einem Ziel, beispielsweise einem einfacheren, besseren Leben, anzukommen. Welche Geschichte hier in Frage kommen kann, hängt ganz von Ihrem Unternehmen ab. Mehr zur Blockbuster-Storytelling-Methode erfahren Sie im nächsten Beitrag!

Tipp 4 – Des jungen Werthers Sprachrohr

Sie haben sich einen jungen Werther gezaubert? Wunderbar! Dann geht es im nächsten Schritt darum, eine Reichweite zu schaffen, zu steigern, bzw. zu stärken. Vor allem heute ist es einerseits leicht, verschiedene Kanäle und Medien als Sprachrohr zu nutzen. Trotz allem, muss hier mit Bedacht gehandelt werden. Welche Kanäle oder Medien werden von Ihren hoffentlich baldigen „Werther-Anhängern“ genutzt und sind Sie dort bereits präsent? Gibt es verschiedene Formate, die bei Ihrer Zielgruppe besser ankommen, und welche sind für Ihren jungen Werther die besten und authentischsten? Nutzen Sie passende Medien zur „Berichterstattung“ für Ihren Werther.

Tipp 5 – Der junge Werther weiß Bescheid

Jetzt, wo Sie einen jungen Werther in Ihr Unternehmen integriert haben, der durch verschiedene Medien gesehen und gehört wird, geht es darum, eine Community aufzubauen. Können sich Ihre Kunden bereits mit dem jungen Werther identifizieren und holen Sie sie dort ab, wo sie gerade stehen? Vor allem in Sozialen Medien wie Instagram oder Facebook ist es von Vorteil, tatsächliche Beziehungen aufzubauen und die Community zu stärken. Kommentare und Nachrichten sollten beantwortet werden. Vor allem auf den Sozialen Medien kann sich Ihr junger Werther ins Getümmel stürzen, von der Zielgruppe lernen und Content und Werbung ganz speziell und gezielt zuschneiden und veröffentlichen. Im besten Fall wächst nach einiger Zeit die Community von ganz alleine und Sie gewinnen Neukunden durch Mundpropaganda. Uns ist bewusst, dass vor allem dieser Tipp viel Zeit in Anspruch nimmt und nicht jedes Unternehmen die Mittel und Mitarbeiter dafür hat. Dann sorgen Sie dafür, dass Sie auf andere Art und Weise für mögliche (Neu-)Kunden erreichbar sind.

Werden Sie das Wissen um den Werther-Effekt Nutzen?

Wir ermutigen Sie, das Wissen um diesen neuen Effekt einzusetzen und durch unsere Tipps möglicherweise neue Wunschkunden zu gewinnen. Dennoch ist uns wichtig an dieser Stelle zu betonen, dass nur jene genutzten Effekte Ziele erreichen, die für Ihr Unternehmen sinnvoll sind. Gerne begleiten wir Sie auf der Reise! Haben Sie Fragen zum Werther-Effekt, zu einem anderen Thema, oder zu unseren Angeboten? Dann freuen wir uns über Ihre Nachricht.

Bis zum nächsten Beitrag!

Ihre Wanda Hirsch

 

 

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